Luther und die deutsche Schriftsprache

Luther und die deutsche Schriftsprache

Es war in der Zeit der Völkerwanderung, als sich aus den Stammessprachen der germanischen Sprachgruppe in einem lĂ€ngeren Entwicklungsprozess die deutsche Sprache herausbildete. Deren Ă€lteste, heute als „Althochdeutsch“ bezeichnete Stufe wurde zwischen dem achten und elften Jahrhundert gesprochen. In schriftlichen Quellen ist erstmals von „diutisc“ die Rede, was etwa „Volkssprache“ bedeutet; im Gegensatz zum Latein der Kirche und der Gelehrten. Dass diese Sprache schriftfĂ€hig wurde, ist ein Verdienst der Klöster. Wurden anfangs nur einzelne deutsche Entsprechungen zu lateinischen Wörtern aufgeschrieben, so sind uns aus spĂ€terer Zeit auch literarisch anspruchsvolle schriftliche Zeugnisse erhalten geblieben.

Luthers BibelĂŒbersetzung

AnlÀsslich des JubilÀums der Reformation stellte Deutschland Anfang?Januar die Luther-Bibel philatelistisch vor. Die Sondermarke zeigt einen Ausschnitt aus dem Handexemplar Luthers von 1540.

So ließ der ob seiner Gelehrsamkeit und Tatkraft als „praeceptor germaniae“ (Lehrmeister Deutschlands) in die Geschichte eingegangene Abt des Klosters Fulda, Rabanus Maurus, um 830 die Evangelienharmonie des Tatianus ins Althochdeutsche ĂŒbersetzen; in der gleichen Zeit entstand dort das in AltsĂ€chsisch – dem niederdeutschen Pendant zum Althochdeutschen – abgefasste Stabreim-Epos „Heliand“.

Fuldaer Mönchen verdanken wir auch die fragmentarische Aufzeichnung des Hildebrandsliedes, des einzig ĂŒberlieferten germanischen Heldenliedes. Ein anderes frĂŒhes Sprachdenkmal entdeckte 1841 der Historiker Georg Waitz in der Bibliothek des Domstifts Merseburg: Auf einer theologischen Handschrift aus dem neunten oder zehnten Jahrhundert fand er zwei ZaubersprĂŒche aus vorchristlicher Zeit. In einem davon beschwört der germanische Gottvater Wodan den verrenkten Fuß eines Pferdes mit den Worten „ben zibena bluot zibluoda lid zigeliden sosegelimida sin“ (Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Glied, wie wenn sie geleimt wĂ€ren). Mit dem Slogan „Merseburg bezaubert“ machte die Saalestadt im Sonderstempel zum Sachsen-Anhalt-Tag 2009 augenzwinkernd auf diesen sprachgeschichtlichen Schatz aufmerksam.

Schriftsprache im Wandel: Aus „diutisc“ wurde „deutsch“

Unter der Leitung von Rabanus Maurus entstanden in der Fuldaer Klosterschule bedeutende Schriften in althochdeutscher und altsÀchsischer Sprache.

Die in der Mitte des elften Jahrhunderts einsetzende Ostkolonisation, die Herausbildung des Rittertums, die KreuzzĂŒge und schließlich die Entwicklung des Fernhandels brachten es mit sich, dass immer grĂ¶ĂŸere Bevölkerungsgruppen stĂ€ndig oder zeitweilig ihre angestammte Heimat verließen. Das fĂŒhrte zu sprachlichen Angleichungsprozessen, aus denen im Laufe der Zeit das Mittelhochdeutsch und das Mittelniederdeutsch – einst die Sprache der Hanse – entstanden. Ihre schönste AusprĂ€gung erfuhr die mittelhochdeutsche, jetzt „diutsch“ genannte Sprache in der mit dem Begriff „Minnesang“ nur unzulĂ€nglich beschriebenen Dichtung des Hochmittelalters. Stellvertretend sollen hier nur zwei ihrer bedeutendsten ReprĂ€sentanten genannt werden. Der aus der NĂ€he von Maastricht stammende Heinrich von Veldeke setzte mit seinem Versroman „Eneit“ MaßstĂ€be fĂŒr die ritterliche höfische Epik. „Er impfete daz ĂȘrste rĂźs in tiutischer zungen“ schrieb Gottfried von Straßburg ĂŒber den Dichter vom Niederrhein. Einer, der das Pfropfreis Heinrich von Veldekes am Baum der deutschen Dichtung wohl am schönsten zum BlĂŒhen brachte, war der SĂ€nger und Spruchdichter Walther von der Vogelweide. Aber auch der unbekannt gebliebene Verfasser des Nibelungenliedes gehört zu den höfischen Dichtern, die eine Literatursprache von einem hohen Grad der Einheitlichkeit schufen.

Grimms Beitrag zur Sprachentwicklung

Der Epiker Heinrich von Veldeke und der Lyriker Walther von der Vogelweide, nach Miniaturen aus der Manessischen Liederhandschrift.

Jacob Grimm drĂŒckte das einmal so aus: „Im zwölften, dreizehnten jahrh. waltet am Rhein und an der Donau von Tyrol bis nach Hessen schon eine allgemeine sprache, deren sich alle dichter bedienen“.
Diese allgemeine Sprache fand bald auch Eingang in die Kanzleien, in denen bis dato Latein die einzige Urkundensprache war. Als erstes Reichsgesetz wurde 1235 die Urkunde ĂŒber den Mainzer Landfrieden Kaiser Friedrichs II.
auch in deutscher Sprache ausgefertigt. Die zum 775. Jahrestag dieses Gesetzes aufgelegte Gedenkganzsache zitiert daraus, grafisch umgesetzt als Spitze des Krönungsschwertes, das Gebot: „wir setzen und gebieten swaz schaden iemen an deheiner slahte dinge geschĂȘ, daz er daz selbe niht enreche, er enchlag ez alrerst sinem rihter und volge siner chlage ze ende, als reht ist.“ Die normierende Wirkung der Kanzleisprachen blieb nicht ohne Einfluss auf die Sprache der aufblĂŒhenden StĂ€dte. Auch im religiösen Bereich gewann die deutsche Sprache an Einfluss; Mystiker wie Mechthild von Magdeburg oder Meister Eckhart bereicherten mit ihren Schriften den Wortschatz der Volksprache um abstrakte Begriffe.

Gutenbergs Buchdruck

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts zeichnete sich ein Trend zur weiteren sprachlichen Einigung ab – ein Prozess, der durch Johann Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern weiter beschleunigt wurde. Das Angebot an deutschsprachigen Texten erhöhte sich drastisch, ebenso die Zahl der Lesekundigen; weitrĂ€umig geltende Sprachnormen wurden immer mehr zu einem ökonomischen Erfordernis. In dieser sprachlichen Umbruchsituation fiel die BibelĂŒbersetzung Martin Luthers auf fruchtbaren Boden.

Der nach seinem Auftritt vor dem Wormser Reichstag von KurfĂŒrst Friedrich dem Weisen auf der Wartburg bei Eisenach „eingetane“ Reformator schaffte es in nur zehn Wochen, das Neue Testament aus dem griechischen Urtext in eine – so sein Anspruch — jedem Deutschen verstĂ€ndliche Sprache zu ĂŒbersetzen: „Ich habe keine gewisse, sonderliche Sprache im Deutschen, sondern brauche der gemeinen deutschen Sprache, daß mich beide Ober- und NiederlĂ€nder verstehen mögen. Ich rede nach der sĂ€chsischen Canzeley, welcher nachfolgen alle FĂŒrsten und Könige in Deutschland, alle ReichsstĂ€dte 
“, sagte er in einer seiner Tischreden.

Luther liebt die klaren Worte

Im Gegensatz zu frĂŒheren Übersetzern klebte Luther nicht am Wort, sondern orientierte sich an der gesprochenen Volkssprache. Sein klarer, einfacher Stil sowie seine Vorliebe fĂŒr bildhafte AusdrĂŒcke, Sprichwörter und Redensarten machten das durch die nachfolgende Übersetzung des Alten Testaments vervollstĂ€ndigte Buch zu einem Bestseller und seine Sprache ĂŒber geografische und konfessionelle Grenzen hinaus zu einem Gemeingut, welches das FrĂŒhneuhochdeutsch nachhaltig prĂ€gte und von dem unsere Sprache bis heute zehrt.

Flugschriften wie die „Zwölf Artikel“ der aufstĂ€ndischen Bauern von 1525 verbreiteten das gedruckte Wort auch in Volksschichten, denen höhere Bildung noch versagt war.

Verbreitung der Schriftsprache

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Luthers Sprache wurde nicht nur durch die Bibel, sondern ebenso durch seine reformatorischen Schriften verbreitet – nicht wenige davon in Form von Flugschriften oder -blĂ€ttern. Diese frĂŒhe Form der religiösen, moralischen oder politischen Agitation, wie sie beispielsweise aus den Bauernkriegen bekannt ist, leistete vor allem unter dem einfachen Volk einen weiteren Beitrag zur Herausbildung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache. Dem konnten sich auch die Gebildeten auf Dauer nicht verschließen. Wenngleich es unter Gelehrten noch Usus war, den eigenen Namen zu latinisieren, hielt der Naturwissenschaftler und Mystiker Paracelsus ab 1527 seine medizinischen Vorlesungen in Basel in Deutsch, auf „dass die arzney in erkantnus des gemain man komme“, und der Humanist Ulrich von Hutten ĂŒbersetzte zuvor lateinisch verfasste Schriften selbst ins Deutsche und bediente sich fortan nur noch seiner Muttersprache.

Der Name Konrad Dudens wurde zum Synonym fĂŒr eine einheitliche Rechtschreibung in den deutschsprachigen LĂ€ndern.

Sprachentwicklung unter fremdsprachigen EinflĂŒssen

Hatte Luther noch Kaiser Maximilian I. und den sĂ€chsischen KurfĂŒrsten Friedrich den Weisen mit den Worten gewĂŒrdigt, dass sie „im römischen Reich die deutschen Sprachen also in eine gewisse Sprache gezogen“, so zog andererseits der Verfall der Zentralgewalt im 17. Jahrhundert auch einen Niedergang der deutschen Sprache nach sich; vor allem im DreißigjĂ€hrigen Krieg waren viele deutsche Wörter durch fremdsprachige — vielfach französische — Begriffe verdrĂ€ngt worden. Dem stellten sich die von national gesinnten Persönlichkeiten gegrĂŒndeten Sprachgesellschaften wie die Weimarer „Fruchtbringende Gesellschaft“ oder der „Pegnesische Blumenorden“ in NĂŒrnberg entgegen. Nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Sprache und Literatur im Zeitalter der AufklĂ€rung nahm die Leipziger „Deutsche Gesellschaft“ unter Johann Christoph Gottsched.
Das Verdienst, die heute als Germanistik bezeichnete Wissenschaft von der deutschen Sprache und der deutschen Literatur begrĂŒndet zu haben, gebĂŒhrt den BrĂŒdern Jacob und Wilhelm Grimm. Sie sahen die BeschĂ€ftigung mit der Muttersprache als eine nationale Aufgabe an und erforschten durch historische Vergleiche deren Geschichte. Mit dem 1854 veröffentlichten ersten Band eines „Deutschen Wörterbuches“, das den deutschen Wortschatz in seinem historischen Werden erfasst, begannen sie ein Jahrhundertwerk, das erst 1960 – mitten im kalten Krieg – als Gemeinschaftswerk west- und ostdeutscher Wissenschaftler vollendet wurde. Über die jahrzehntelange deutsche Spaltung hinaus hat auch ein anderes Buch, wenngleich in zeitweise getrennten Ausgaben, die Einheit unserer Schriftsprache bewahrt: der Duden, das nach seinem BegrĂŒnder Konrad Duden benannte Standardwerk der deutschen Rechtschreibung.

Titelthema des BRIEFMARKEN SPIEGEL 2/2017, Text: Dieter Heinrich


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Authored by: Stefan Liebig

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