Ukraine: Das Wilde Feld
Sie waren der Zivilisation für immer verloren gegangen. Mit diesen Männern gab es kein Zusammenleben mehr. Als 1648 die Kunde vom Frieden durch die deutschen Länder eilte, war dies ein lang ersehnter Hoffnungsschimmer für die Bevölkerung. Doch standen Zehntausende Söldner im Land, denen ein wie auch immer gearteter Frieden keine Perspektive bot. Diese angeworbenen Truppen hatten in den Heeren der Konfliktparteien gekämpft, oft auf wechselnden Seiten. Religiöse oder politische Ziele berührten sie nicht. Sie wurden für ihre Dienste bezahlt, und wenn jemand anderes mehr Geld anbot, wechselten komplette Regimenter ins gegnerische Lager. Ohne jede Verbundenheit mit den Bauern, hatten sich die Söldnerbanden aus dem Land ernährt und dabei ohne Erbarmen geraubt, gefoltert und gemordet. Viele hatten nie ein anderes Leben kennengelernt und beherrschten kein Handwerk außer zu schanzen und zu töten. Was sollte man in Friedenszeiten mit diesen zügellosen Banden tun?
Das Wilde Feld
Es gab einen Ort, an dem diese furchtbaren Krieger gebraucht wurden. Weit im Osten, wo der Dnjepr in breitem Strom dem Schwarzen Meer entgegeneilte, lag das „Wilde Feld“. Diese Steppenlandschaft war seit Jahrtausenden Einfallstor nomadischer Völker aus Zentralasien gewesen. Immer wieder machten dort gewaltige Menschenzüge Station, bevor sie sich weiter nach Westen wandten oder sich niederließen, um bald darauf von einem neuen Strom überrannt oder mitgerissen zu werden. Es war das alte Land der Skythen und Sarmaten, durch das Hunnen, Awaren, Bulgaren, Ungarn, Petschenegen und Kumanen gezogen waren. Ab Mitte des 13. Jahrhunderts gehörte es zum Mongolenreich der Goldenen Horde, im 16. Jahrhundert zum Khanat der Krimtataren. Obwohl der Landstrich von einzigartiger Fruchtbarkeit war, hatten sich dort keine großen Städte entwickelt. Und doch lebten dort Menschen. Zwischen den umherziehenden Tatarengruppen hatten sich wehrhafte Bauern angesiedelt, die vor ihren polnischen und russischen Herren geflohen waren und die halbnomadische Lebensweise der Region angenommen hatten: die Kosaken.
Die Saporoger Kosaken
Unterhalb der Stromschnellen des Dnjepr hatte sich ein sogenannter „Herd“ gebildet, ein staatsähnlicher Bund aller Kosaken: der Saporoger Sitsch. Doch ausgerechnet in dieses Gebiet hatte das mächtige Polen–Litauen auf dem Höhepunkt seiner Expansion seinen Herrschaftsbereich ausgedehnt. Die selbstbewussten Kosaken wurden anfangs von den Polen respektiert und für ihre Verteidigung des Wilden Feldes gegen die Krimtataren auch bezahlt. Doch als der mächtige polnische Adel sich anschickte, den Kosaken ihre Privilegien abzuerkennen, kam es zu einem Aufstand, der das Wilde Feld in Flammen setzte.
Der Chmelnyzkyj-Aufstand
Unter dem Hetman Bohdan Chmelnyzkyj überwältigten die Saporoger Kosaken mehrere Expeditionsheere der Polen. Dabei erhielt Chmelnyzkyj überwältigenden Zulauf aus dem Volk, das seine Chance sah, der polnischen Herrschaft zu entkommen. Ein Heer der polnischen Krone wurde komplett vernichtet, als die im Sold stehenden Kosakenregimenter ihre polnischen Offiziere erschlugen und sich zusammen mit den gepressten ukrainischen Bauern auf die Seite der Aufständischen schlugen. Die Husaren der Polen und ihre deutschen Söldner wurden restlos niedergemacht. Auch dem nächsten Heer erging es nicht besser. Wieder hatte Polen zahlreiche Deutsche rekrutiert, die von ihren Landesherren nur zu gern in die Ferne entlassen worden waren. Wieder endete der von endlosen Märschen erschöpfte Heereszug in der endlosen Steppe, heimgesucht von den Kosaken, denen sich mittlerweile die Krimtataren angeschlossen hatten.
Verschwundene Armeen
In der zeitgenössischen Wahrnehmung des Westens wurde das Wilde Feld zu einem unheimlichen Ort. Tausende Soldaten marschierten in die Steppe, um niemals wieder zurückzukehren. Der Chmelnyzkyj-Aufstand kostete noch zahllose Menschenleben, bevor es den Polen gelang, die Tataren aus der Allianz mit den Kosaken zu lösen. Chmelnyzkyj erhielt nun Unterstützung von Russland, doch schien der Steppenkrieg immer weitere Kreise zu schlagen. Im Norden sah Schweden die Gelegenheit, sich Polens zu bemächtigen, worauf sich Warschau mit den Tataren und Russland verbündete. In der polnischen Geschichtsschreibung spricht man auch von den „Kriegen der blutigen Sintflut“. Schlussendlich einigten sich die Großmächte auf einen fragilen Frieden, das Land der Kosaken aber wurde aufgeteilt. Westlich des Dnjepr fiel es unter polnische Oberherrschaft, östlich davon unter russische. Der „Ewige Frieden“ von 1686 hielt indessen nicht ewig, aber die Bewohner der Ukraine gaben die Hoffnung auf staatliche Souveränität nie auf.
Text: Jan Sperhake / Die abgebildeten Karten wurden uns von www.akpool.de zur Verfügung gestellt.
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